Das islamische Recht by Rohe Mathias
Autor:Rohe, Mathias
Die sprache: deu
Format: epub
ISBN: 9783406646638
Herausgeber: C.H.Beck
veröffentlicht: 2014-12-28T16:00:00+00:00
Vertrags- und Wirtschaftsrecht
Das Vertragsrecht wurde seit dem 19. Jahrhundert in den meisten islamisch geprägten Staaten erstmals kodifiziert und inhaltlich reformiert. Diese Entwicklung erfolgte ohne größere Widerstände, weil sie weitgehend Bereiche betraf, die nicht oder nur vage von anerkannten Rechtsquellen geregelt wurden. Hier hat man sich wesentlich von französischer Gesetzgebungstechnik inspirieren lassen und auch in großem Umfang westliche Kodizes übernommen, so etwa das französische Handelsgesetzbuch im Osmanischen Reich im Jahre 1850.
Das jüngste Schlüsselwerk mit Ausstrahlungswirkung auf die Gesetzgebung und Rechtsprechung in weiten Teilen der arabisch-islamischen Welt ist das ägyptische Zivilgesetzbuch von 1948. Entwickelt wurde es in einer Synthese europäischer und islamischer Normativität von dem herausragenden Gelehrten Abdarrazzaq Sanhuri. Breitflächig anerkannt – selbst im sehr traditionalistischen Saudi-Arabien – sind moderne Rechtsinstitute wie die juristische Person oder geistiges Eigentum als eigenständiges Schutzgut, die dem traditionellen Recht unbekannt waren. In jüngerer Zeit erfolgte eine umfangreiche Gesetzgebungstätigkeit in wirtschaftsrelevanten Bereichen wie dem Investitionsschutz und dem internationalen Handelsverkehr. Soweit hier Debatten entbrannt sind, geht es in der Regel nicht um islamrechtliche Argumente, sondern um allgemeinere Kritik an weltwirtschaftlichen Ungleichgewichten oder mehr oder weniger explizit sozialistisch-staatsorientierten Vorstellungen.
Umstritten bleiben verbreitet eingeführte Vorschriften über gesetzliche oder vertragliche Zinsen, wie etwa in Ägypten (Art. 226 ZGB: gesetzlicher Zinssatz bei verspäteter Geldleistung 4 Prozent, bei Handelsgeschäften 5 Prozent), und Versicherungsverträge (Art. 747ff. ZGB). Angriffe dagegen waren bislang jedoch ebenso erfolglos wie der Versuch, eine stärker an traditionellen Vorstellungen ausgerichtete Kodifikation einzuführen. Reformer verweisen darauf, dass das nach klassischem Verständnis weitreichende Verbot jeglicher Zinsen nicht zwischen abzulehnendem Wucher einerseits und der wirtschaftlich sinnvollen Vergütung des Zeitwerts von geliehenem Kapital andererseits unterscheide.
Auch traditionell Denkende akzeptieren zudem Zinsen insoweit, als sie in Wirklichkeit Schadensersatz für die mangelnde Erfüllung rechtlicher Verpflichtungen darstellen, etwa bei verspäteter Warenlieferung («Verzugszinsen»). In den VAE beispielsweise wird zwischen Handelsgeschäften und privaten Darlehensverträgen unterschieden: Während bei letzteren Kreditzinsen untersagt sind, wird für erstere im Handelsgesetzbuch von 1993 ein gesetzlicher Zinssatz von 12 Prozent festgelegt, der im Hinblick auf Verzugszinsen sogar noch überschritten werden darf. Ebenso können die Geldentwertung durch Inflation und Verwaltungskosten als zulässige Schadensposten anerkannt werden.
Im Wesentlichen von europäischen Rechtsquellen inspiriert, wurde auch das außervertragliche Schuldrecht geregelt, für welches das traditionelle Recht nur rudimentäre Bestimmungen enthielt, die sich inhaltlich kaum von europäischen Rechtsvorstellungen unterscheiden. Mit alledem verbunden ist die erstmalige Entwicklung eines kohärenten Zivilrechtssystems einschließlich allgemeiner Regelungen über Vertragsschlüsse, Vertragswirksamkeit etc. Zuvor war das Vertragsrecht meist nur in Teilen geregelt, insbesondere im Hinblick auf einige wichtige Vertragstypen wie Kauf oder Miete.
Dennoch geriet das traditionelle Vertrags- und Wirtschaftsrecht nicht in Vergessenheit. Seit den 1970er Jahren ist eine international akzeptierte, teils sogar begrüßte Renaissance traditioneller Regelungsprinzipien zu beobachten, die auf moderne Wirtschaftsformen übertragen werden. Das betrifft beispielsweise das Verbot von Spekulationsgeschäften und das streng verstandene Zinsverbot. Mit «Islamic Banking» etc. ist ein lukrativer Wirtschaftsbereich entstanden, der weltweit von einer recht kleinen Gruppe angesehener Spezialisten («Sharia jetset») geprägt wird.
Die Bewältigung des strengen Zinsverbots wird mit zwei unterschiedlichen Strategien verfolgt. Zum einen besteht die Möglichkeit, auf alternative, traditionell gebilligte Konstruktionen von Gesellschaftsbeteiligungen wie die Mudaraba zurückzugreifen. Damit wird der Leitgedanke islamischen Wirtschaftens – die Verknüpfung von Gewinnchance und Verlustrisiko – realisiert.
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